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Viertel nach Acht!

10/2012

Status: seit 12 Jahren ungenutzte Industriehallen mit mehreren Einzelgebäuden, Zukunft ungewiss. (10/2012)


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Über das Objekt:

So oft schon hatte ich dieses riesige Areal bei meinem täglichen Weg zur Arbeit umfahren und mir ausgemalt, wie spannend es wohl hinter dem Zaun sein müsste. Das Gelände wollte regelrecht erkundet werden, und ich hoffte sehr, dass meine schriftliche Anfrage zur Begehung auf Resonanz stoßen würde.

  Es geht in der Hauptsache um zwei riesige Industriehallen, nach jahrelangem Wildwuchs extrem überwuchert von Gebüsch und Bäumen, sowie durch Alterung deutlich gezeichnete Einzelgebäude innerhalb eines schier unüberschaubaren Gesamtgeländes. Überall an der Geländeumzäunung hingen mahnende Schilder mit Hinweisen auf Videoüberwachung. Sie sprachen eine deutliche Sprache, hier besser nicht über die Absperrung zu klettern.

 

Unüberschaubar:

Auf dem 180ha großen Industriegelände herrschte schon seit 12 Jahren im wesentlichen Stille. Unweit des pulsierenden Zentrums einer Kleinstadt gelegen, wurden hier bis zum letzten Tag im vergangenen Jahrtausend überwiegend Stahlbehälter- und Formen hergestellt. Infolge gestiegener Produktions- und Unterhaltskosten erfolgte eine Auslagerung der Fertigung auf den afrikanischen Kontinent in neuen Hallen, und zwar mitsamt der meisten Fertigungsmaschinen.

 

Vor Ort im Einsatz:

Zunächst erhielt ich auf meine schriftliche Genehmigungsanfrage zum Betreten der Anlage einen Besprechungstermin direkt auf dem Gelände. Der technische Manager und eine Mitarbeiterin erkundigten sich nach meinem Vorhaben. Obwohl ich bei diesem Vorgespräch kein einziges Foto machte, war es ein großartiges Gefühl, diese Welt mit ihrer Eigendynamik beschreiten zu dürfen und aus der Nähe zu sehen. Eben von der anderen Seite des Zauns. Für mich lag nach geduldigem Warten ein großes, lang gehegtes Ziel endlich zum Greifen nahe.

Am Morgen des 18.10.2012 war es dann soweit: Ich durfte die kleine und die große, ehemalige Werkshalle in Begleitung erkunden! Aufgrund der gemeinsamen Vorbesichtigung wusste ich, dass mich eine schier unendliche Fülle an Impressionen erwartete. Doch das war untertrieben! Bereits in der kleinen Halle gab es so unfassbar viele Motive, dass ich vor lauter visuellen Eindrücken gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte mit der Fotodokumentation. Bevor ich loslegen durfte, musste ich noch kurz einen Übungseinsatz der Polizei mit ihren Staffelhunden abwarten.

 

Natürlicher Rückbau

Die in den 60er-Jahren aufgetragene Farbe schälte sich bereits von den Stahlträgern und Türen. Fest installierte Deckenkräne hingen noch in der Höhe, doch die allermeisten Produktionsmaschinen waren ausgebaut. Zahlreiche Ersatzteile, fertig produzierte Werkstücke und diverse Stahlreste waren auf dem Hallenboden verteilt. A propos Boden: Tatsächlich handelte es sich beim Hallenboden nicht um Kopfsteinpflaster, sondern um einen Holzfußboden, der seinerzeit als Arbeitsuntergrund diente. Auf einigen Quadratmetern wuchsen Schimmelpilzkolonien als deutliches Zeichen jahrelangen Feuchtigkeitseinbruchs. Fantastisch war das Spiel des Sonnenlichts auf dem Hallenboden. Es erzeugte zahllose kontraststarke Lichtspiele.

Wahre Kammern des Schreckens

Der Verwalter der Anlage sperrte mir auch die Tür zur angebauten Lehrwerkstatt auf. Parallel zur Hauptproduktion übten hier über Jahrzehnte Auszubildende ihr Handwerk. Die meisten Tische und Schraubstöcke waren noch vorhanden. Hier und da hingen noch Planzeichnungen an den Wänden. Stellenweise gelangte das Tageslicht nur partiell durch die großen Hallenfenster nach innen, denn massiver Pflanzenbewuchs konnte sich seit 12 Jahren ungestört ausbreiten. In der Lehrwerkstatt gelangte man über eine Stahltreppe eine Etage höher in den Aufenthaltsraum. Hier oben hatte die Natur schonungslos mit der Rück-Eroberung ihres Territoriums begonnen. Die hölzerne und triefend nasse Vertäfelung war durch eindringendes Wasser in Teilen von der Decke gefallen. Das Wasser stand mehrere Zentimeter hoch auf dem bereits verrotteten und aufgeplatzten Kunststoffboden. Die im Wasser stehenden Tische und die durch das Herunterfallen der Vertäfelung umher liegenden Stühle waren bereits deutlich verwittert und boten einen bizarren Anblick. Inzwischen wuchsen hier bereits Schimmelpilze und Moose. Einmal eingedrungen, hatte die eindringende Feuchtigkeit aufgrund der Doppelverglasung wiederum keine Chance, jemals zu entweichen. Etwas außerhalb dieses recht geschundenen Zimmers hingen Diplome, Urkunden und Wettbewerbsteilnahme-Bestätigungen an den Wänden, schon Jahrzehnte alt und vergessen.

Werkshalle XXL- Zeit zur Komposition!

Als nächstes erkundete ich die ganz große Werkshalle, die genau genommen aus etlichen einzelnen, übergehenden Arbeitsbereichen bestand und etwa der Gesamtdimension eines Fußballfeldes entsprach. Hier lief einmal die Produktion auf großer Fläche. Heute sind nur noch die Deckenkräne gegenwärtig und fristen ein nutzloses Dasein. Einzig die Schaltkästen für die elektrische Versorgung verblieben vereinzelt. Auch hier stand stellenweise das Wasser auf dem Hallenboden. Farne hatten entlang eines quer durch die Halle verlaufenden Kabelschachtes die Macht übernommen. Wie in einem Orchester konnte ich durch die richtige Auswahl des besten Standortes meines Stativs spannende Licht- und Schattenspiele auf dem Hallenboden einfangen. Und wie so oft bei meinen Fototouren fand ich die Spuren massiver Metalldiebstähle vor. Das Kupfer verlor schon direkt hier seine Ummantelung, bevor es illegal abtransportiert wurde.

Die Vogelwelt hatte sich in den eiskalten Hallen vielerorts eingenistet. Hin und wieder bemerkte ich, wie kleinste Bruchstücke des Daches auf den Hallenboden herunter fielen. Die Sonne zauberte unzählige Licht- und Schattenspiele auf den feuchten Boden. In allen Hallen und Gebäuden zeigten die Werksuhren an den Wänden Viertel nach Acht, was auf eine zentrale Schaltung hinweist. Der Detailreichtum des Verfalls war enorm, doch der Tag neigte sich langsam dem Ende entgegen und ich wollte unbedingt auch noch Außenaufnahmen von den völlig zugewachsenen, einzelnen Häusern.

Nach 7 Stunden intensiver Foto-Tour vereinbarte ich mit dem Verwalter des Geländes eine Folge-Tour zur Erkundung der diversen Einzelgebäude.

Ausblick

Als ich das Gelände schließlich durch das große Rolltor wieder verlies blickte ich zurück. Ich sah nun die alten Hallen wieder aus der mir nur zu gut bekannten Perspektive von außen - mit dem Wissen, den Gebäuden immerhin einen um einen kleinen Teil ihrer alten Geheimnisse entlockt zu haben.

Ein Zweitbesuch, den ich kaum erwarten kann, ist geplant. . .

 

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