Der Erlebnis- und Stimmungsbericht vom großen Tag des Venustransits

am 8. Juni 2004

Das war "unser" Venustransit

am 8. Juni 2004

in Montecatini Alto, Italien


 

Beobachtungsanlass: Planet Venus zieht vor der Sonnenscheibe vorbei

Beobachter: Alexander Birkner, Manfred Haberstroh

Beobachtungszeitraum: 08.06.2004, 06.45 Uhr - 13.35 Uhr MESZ

Beobachtungsort:

Montecantini Alto in Italien ( hochgelegener, alter Stadtteil von Montecatini Terme)

43°52'08"N, 10°45'06"E, 190 m Höhe. Hier eine Karte der Location:

Wetterbedingungen: unbewölkter Himmel, Seeing zunächst 3/5, später 2/5

Verwendete Fototechnik: siehe linke Spalte "Mein Fotoprogramm"

 


 

Hier der Reisebericht, die Erlebnisse und Eindrücke unseres

 Transit unter Olivenbäumen

 

Rückblende

Der Redefluss der Fluggäste in der Sitzreihe hinter uns übertönt nahezu das Geräusch der Flugzeugturbinen. Manfred und ich befinden uns auf dem Rückflug von Pisa nach Hahn im Hunsrück. Eine Boing 737-800 der Billig- Airline Ryanair bringt uns für kleines Geld zurück in unsere Heimat.

 

Wir sind heute Zeuge eines wirklich seltenen und historischen Himmelsschauspiels geworden, für dass sich die zahlreichen Vorbereitungen gelohnt haben. Mit unserer Teleskop-Ausrüstung sind wir nach Italien aufgebrochen, um zu sehen, wie Planet Venus als schwarzer Punkt über 6 Stunden vor der Sonne vorbeizieht. Und jetzt sitzen wir im Flieger und fragen uns, wie man so spät am Abend noch mit solchem Elan die ganze Maschine unterhalten kann. Der Tag war lange.

 

Doch halt, von vorne und vor allem: der Reihe nach.

 

Montag, 07. Juni 2004:

Der Aufbruch

 

Ein letzter Wettercheck um 16.30 Uhr im Internet für die Region um Florenz stimmt mich positiv: Unbewölkter Himmel für den ganzen Dienstag. Auch Wettergott Meteosat scheint das zu bestätigen. Ein Blick auf die Webcam im Stadtzentrum von Florenz zeigt einen klaren Himmel. Und das ist auch nötig für unser Vorhaben: Die Beobachtung des Venustransit in der Toskana.

 

Pünktlich um 20.30 Uhr hebt unsere Ryanair-Boing ab vom Flughafen Hahn im Hunsrück mit Ziel Pisa, der weltbekannten Stadt des schiefen Turmes. Manfred und ich haben nur Technik im Gepäck für den 24-stündigen Kurztrip. Doch auch in Deutschland stehen die Chance günstig für eine erfolgreiche Beobachtung. Während des Fluges fallen uns nur unbedeutende Zirruswolken auf, die nicht wirklich gefährlich wirken. Das ändert sich beim Überfliegen der Alpenregion. Die höchsten Berggipfel werden wunderschön von der Sonne angestrahlt, der Schnee leuchtet rötlich. In den Tälern hat die blaue Stunde schon begonnen.

 

 

Der Wolkenanteil nimmt zu, richtig dicke Quellwolken tauchen auf und nehmen bis kurz vor der Landung den vom Fensterchen sichtbaren Teil des Himmels ein. Au weia!

Noch im Landeanflug höre ich ein paar Reihen von mir entfernt ein Kind seinen Vater fragen: "Papa, wo ist denn der Turm?"

 

Welcome to Italy!

 

 

Beim Verlassen des Flugzeuges vor dem Gebäude geht mein Blick sofort gen Himmel und ich komme deswegen fast in's Stolpern, als ich die Treppe hinunter steige. Etliche Wolkenfelder bestimmen den Himmel, Jupiter ist zu sehen, hier und da Quellwölkchen und nur wenige Lücken. Hach ja! Manfred schaut mich grinsend an...

 

Mit dem Mietwagen geht's über die italienische und mautpflichtige Autobahn A12 und A11 in Richtung Florenz, vorbei an Lucca und schließlich nach Montecatini Terme. In diesem Städtchen herrscht auch nach 23.00 Uhr noch reges Treiben auf den Straßen. Wir halten kurz an, um nachzusehen, wo unser Hotel zu finden ist. Eine Nachfrage beim "Chinesen" hilft, und 5 Minuten später befinden wir uns am vorläufigen Ziel, unserem Hotel.

 

 

Schon jetzt ist klar: Eine Beobachtung des Venustransit vor Ort ist völlig ausgeschlossen. Hohe Häuserzeilen umsäumen die Straßen und versperren in alle Richtungen weiträumig die Sicht. Der sog. Hotelgarten ist eine eine Ansammlung einiger hoher Bäume, die aber größenmäßig bei weitem von Gebäuden übertroffen werden. Doch noch heute Abend die Umgebung zu erkunden, macht keinen Sinn. Also bleibt nur ein Frühstart.

 

 

Hotelleben

 

Leider spricht der Hotelier kein Englisch oder Deutsch, und wegen unserer nicht vorhandenen Italienisch-Kenntnisse beschränkt sich die Kommunikation auf aktive Zeichensprache. Weniger lustig wird das, wie der Maitre alle 10 Finger aufzeigt, als es sich um den Preis für den PKW- Stellplatz dreht. Alternativen gibt es nicht, aber eine gewisse Sicherheit in einer abgesperrten Garage gibt es eben nur für 10 Euro.

 

Das Zimmer ist sehr klein und eng. Aber es ist alles da. Es ist der Abend vor dem Transit. Nur noch 7 Stunden. Der große Wagen ist das einzige Sternbild, dass ich vom Hotel- Hinterhoffenster gut erkennen kann. Gottlob keine Wolken. Der Himmel zeigt sich klar. Ich bin, wie immer, furchtbar aufgeregt in der Nacht vor solchen events. Mit dem Gedanken, einen wolkenlosen und geeigneten Standort vorzufinden, schlafe ich schließlich bei gelegentlichem Motorrad-Getöse von draußen irgendwann ein...


 

Dienstag, 08. Juni 2004

Die Suche

 

Um 4.15 Uhr klingelt der Nokia-Wecker. Es geht los. Ein Blick nach draußen und - es ist unbewölkt, wie prognostiziert! Die Dämmerung ist schon im Gange. Mit meiner morgendlichen Dusche tue ich mir nicht nur etwas Gutes, sondern setze nebenbei unbewusst das ganze Badezimmer und das halbe Hotelzimmer unter Wasser. Der Abfluss ist weitgehend verstopft. Hotelgäste müssen wohl künftig zum Bett schwimmen...

 

5:00 Uhr

Nach einem unsäglichen Frühstück, bestehend aus PVC- Zwieback im Doppelpack, einsamen Cornflakes und einem sog. Kaffee beginnen wir um 5.20 Uhr mit der Suche nach einem geeigneten Beobachtungsplatz für den Venustransit. Montecatini Terme ist zur Ruhe gekommen, kein Mensch weit und breit zu hören oder zu sehen. Wir folgen der Hauptstraße und sehen in der Ferne ein hoch gelegenes Waldgebiet. Eine enge Straße führt in Serpentinen durch eine bergige Region. Wir fahren in Richtung Montecatini Alto, wobei es sich um den Ursprungs- Ort von Montecatini Terme handelt. Das Gebiet gehört zur Pistoia- Provinz.

 

5.30 Uhr

Zum Beobachten gibt es keine Möglichkeit, wir entdecken auch keine Feldwege oder freien Flächen, die für unser Vorhaben taugen. Doch die Aussicht ist grandios. Berge säumen in weiträumiger Distanz das Gelände, und der Blick geht weit in's Land. Überall nur Privatwege, die dann steil den Berg herabfallen, zu den Häusern führen und leider alle zugesperrt sind. Schlussendlich kommen wir am Berggipfel bei einer Burg an. Hier enden unsere Möglichkeiten an einem großen Wendeplatz. Teleskope können hier nicht aufgestellt werden. Wenn jetzt kein Wunder geschieht, läuft uns die Zeit davon. Da entdecken wir einen Gott sei Dank nicht abgesperrten Privatweg und erkunden ihn zunächst zu Fuß. Der Weg führt uns an einer Villa vorbei in ein Areal mit unzähligen Olivenbäumen.

 

Der Weg schlägt eine unübersichtliche Serpentinen-Kurve ein - und dahinter passt alles: Uneingeschränkte Sicht von Nord über Ost bis Süd. Gleichermaßen bietet sich uns ein fantastischer Weitblick über die Region - ein idealer und wunderschöner Spechtelplatz ist gefunden! Und der Kompass bestätigt noch einmal: Die Richtung stimmt, hier soll es sein. Das Tal liegt fast komplett im Morgendunst bis zum Horizont. Die Dunstschichten sind aber hier oben erheblich dünner, wir stehen fast komplett darüber. Die Morgendämmerung taucht die Landschaft in malerische Blau- und Rottöne. Noch ist es wirklich kühl und recht windig, ich brauche meine Jacke. Die Vögel sind im vollen Einsatz mit ihrem Gesang. Von Marc Weihrauch aus Halle/Saale kommt die erste SMS des Tages: Sonnenaufgang hier unter fast perfekt klarem Himmel.

 

 

6.00 Uhr

Morning Setup

 

Am Wegesrand beginnen wir mit dem Aufbau unserer Teleskope. (Ausrüstung siehe linke Spalte "Mein Fotoprogramm"). Die Sonne ist zwar schon vor 25 Minuten über den Horizont gestiegen, doch sie versteckt sich noch hinter den Bergen. Ich bin mächtig nervös und total aufgekratzt. Jetzt nur keinen Fehler beim Aufbau machen. Die Ausrüstung hat den Flug unbeschadet überstanden. Das Berlebach- Holzstativ trägt die 4"-Russentonne (1000mm) mit dem selbstgebauten Baader-Sonnenfilter der Dichte 5. Damit werde ich die Webcam-Aufnahmen und die analogen Bilder mit der Canon EOS 50 machen.

 

 

fehlt etwas???

 

Oh Gott, wo ist der Inbus- Schlüssel zum Arretieren der Russentonne auf der EQ2-Nachführung? Erleichterung, als ich feststelle, dass er beim Flug wohl nur aus seinem Fach gerutscht ist. Alle Teile sind da. Auch die dringend benötigten Steine als Gegengewicht liegen in Hülle und Fülle herum, denn das korrekte Teil musste aus Gewichtsgründen zu Hause bleiben.

 

Als nächstes baue ich das kleine Stativ für die 500mm-Russentonne auf. Im Abstand von je 4 Minuten möchte ich 3 Sonnenkugeln mit Venus auf ein einzelnes Bild verewigen, und das für die gesamte Dauer des Transits. In der späteren Diaprojektion sollte man beim Bildwechsel dann sehen können, wie der kleine schwarze Punkt gleichermaßen über alle Sonnenkugeln zieht.

 

Italy Sunrise

 

Es ist 6.50 Uhr, als sich die Sonne über die Berggipfel schiebt und ihr warmes Licht auf uns scheinen lässt. Der Wind lässt nach - nicht eine einzige Wolke steht am Himmel! Ich bin sehr, sehr zufrieden.

 

Gerade schalte ich den Motor für die Teleskop-Nachführung ein, der auch brav seinen Dienst tut, da gibt es ein lautes, nichts gutes verheißendes Geräusch aus Manfreds Richtung. Sein 6"-Maksutov zeigt nach unten; nach 20 Jahren Zuverlässigkeit ist ausgerechnet heute Morgen die Kugelkopf- Platte abgebrochen! Totalschaden. Das Mak lässt sich aber nur mittels Kugelkopf auf die Sonne einstellen. Ein Schockmoment, denn somit ist klar, dass Aufnahmen mit 1400 mm Brennweite nicht realisierbar sind.

 

 

Manfred ist schon leicht blass um die Nase und ich versuche, mich in seine Lage zu versetzen. Was kann man tun? Mehr oder weniger zufällig habe ich die Mittelsäule meines Stativs dabei, die ich nicht benötige. Sie passt auf Manfreds 20 Jahre altes Berlebach- Stativ. Doch er braucht auch den Kugelkopf, der eigentlich meine kleine Russentonne für die Mehrfach- Belichtungen trägt. Es ist einfacher, ein Kleinstativ mit wenig Gewicht durch Anschrägen auf die Sonne zu stellen, als die schwere Ausrüstung von Manfred. Somit kann er mittels meinem Kugelkopf sein Programm doch noch durchziehen.

 

 

7.00 Uhr

Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen, es kann losgehen. Wie schon an den Vortagen, sind auch heute keine größeren Sonnenflecken zu sehen. Kein Wunder, vom Sonnenflecken-Maximum sind wir ja auch über 4 Jahre entfernt! Lediglich in der Mitte der Sonnenscheibe finden sich 2 kleine Fleckchen, die die Bezeichnung 627 tragen.

 

7.15 Uhr...

ist es, als wir gemeinsam in den Suchern unserer Kameras den Transit eines Flugzeuges über die Sonnenscheibe sehen. Es ist deutlich zu erkennen, dass das Leitwerk ausgefahren ist. Ausgelöst hat jedoch keiner von uns. Wir gehen in Position, der Beginn des Transit ist für 07:20:09 hier vorgesehen. Mein Laptop zeigt auf dem TFT- Bildschirm klar und deutlich das Sonnenbild der Webcam. Die Aufnahme läuft, Manfred ist ebenso gespannt wie ich. Und zum angegebenen Zeitpunkt tut sich zunächst einmal nichts. Mit knapp 5 Metern Brennweite ergibt sich eine passable Vergrößerung. Ich überlege, wie viele Teleskope in diesem geschichtsträchtigen Moment jetzt wohl weltweit im Einsatz sind.

 

Eclipse starts

 

Noch nichts auffälliges. Manfred entdeckt als erster, dass um 07:21:28 die Venus in die Sonnenscheibe eintaucht. Erster Kontakt mit über einer Minute Verspätung. Sicher wäre der 1. Kontakt zeitlich korrekter mit einem H-alpha-Filter zu bestimmen gewesen, denn schließlich lässt sich damit die Photosphäre und Chromosphäre sichtbar machen.

 

Und so beginnt das lange Schauspiel unseres inneren Nachbarplaneten, der jetzt stolze 58.6" groß ist. Die Sonne steht 16° über dem NO-O-Horizont. Auf dem Monitor ist deutlich ein "Käppchen" zu erkennen, dass sich allmählich in die Sonne bohrt. An der zweiten Kamera mit der kleinen Russentonne habe ich das Programm mit dem 4-Minuten-Abstand schon vor dem Eintritt gestartet und bin mächtig neugierig, ob im Sucher schon etwas erkennbar ist. Und tatsächlich: 500mm reichen völlig aus, um schon den Eintritt zu verfolgen. Deutlich kann ich eine Delle am unteren Sonnenrand sehen. Klasse.

 

Zurück zum TFT. Venus nimmt die Gestalt eines Omegas an. Das Seeing ist meiner Ansicht nach besser als typischerweise für die gleiche Uhrzeit in Deutschland. Das übliche Flimmern des Sonnenrandes ist nicht so stark wahrnehmbar, vielleicht noch verbessert durch den IR-Cut-Filter. Der so vieldiskutierte Tropfeneffekt steht bevor. Es ist 7:30 Uhr. Eine prima Sache ist das mit der Nachführung, den Mehraufwand an Gepäck für diese Bequemlichkeit habe ich noch nie bereut.

 

Tropfen...

 

Nur noch ein kleines Stück, und Venus sollte in vollem Umfang vor der Sonnenscheibe stehen. Doch so etwas wie eine Verformung kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Die Schärfe ist gut. Begeistert ruft mich Manfred, doch einmal einen Blick in das 8x30 Sucherfernröhrchen zu werfen. Wahnsinn! Auch bei dieser geringen Vergrößerung ein faszinierender  Anblick. Schwarz wie ein Rabe stößt der schwarze Punkt in die Sonne. Der zum Sonnenmittelpunkt zeigende Teil der Venus ist messerscharf begrenzt, im Bereich des Sonnenrandes registriere ich so etwas wie einen Eierbecher, auf dem die Venus aufgesetzt ist. Superklasse.

 

 

...oder kein Tropfen?

 

Zurück am Webcam-Monitor steht nun der 2. Kontakt unmittelbar bevor. Und relativ unspektakulär und ohne irgendwelche Effekte steht Venus um 07:40 komplett vor der Sonne. Ohne, dass sich irgendeine Brücke zum Rand oder ähnliches gebildet hat, sehe ich nun deutlich, dass der 2. Kontakt oder auch Ingress-Phase genannt, vorbei ist. Tja, ich kann nur ein allzeit rundes Venusscheibchen bestätigen.

 

Die Webcam hat ihren ersten von drei Einsätzen erfolgreich gemeistert. Schnell die 6 GB große Datei gesichert, und das Laptop hat erst mal Pause. Jetzt kommt die Canon EOS 50 mit leerem Meade- Okularadapter und dem Baader- Kontrast- Booster in die 1000mm- Russentonne. Vor mir steht formatfüllend die komplette Sonnenscheibe samt Nachbarplanet. Stark! Ist ja irre, wie groß sie tatsächlich ist. Dieses Bild im Sucher, dass natürlich die Live- Situation zeigt, sieht so irre dreidimensional aus und wirkt zum Greifen nah. Bin vollkommen begeistert. Als hätte jemand mit einem Aktenlocher Schindluder an der Sonne getrieben, ist da einfach dieses große, ultrabrutal schwarze Loch. Und von wegen langsame Bewegung! Ich meine, die Bewegung ist ganz schön schnell. Auch ein Vorteil der Nachführung, die Venusbewegung direkt studieren zu können.

 

 

Auf die Brille, fertig, los!

 

Wo ist die Finsternisbrille? Jetzt bin ich echt neugierig auf den Anblick mit dem bloßen, aber geschützten Auge. Die weit gereiste Fielmann- Sofi- Brille mit leichtem Gelbfilter kommt zum Einsatz. Aha. Venus ist eindeutig zu erkennen und sieht irgendwie anders aus wie ein naked-eye-sunspot. Meine Augen sind also doch noch ok.

 

 

Im Sucher der 500-mm-Russentonne und dem Orangefilter ist es ebenfalls ein Hochgenuss, hindurch zu sehen. Doch mitunter am meisten beeindruckt sind wir beide von dem hellen Bild im 8x30 Sucherfernrohr am Maksutov. Ein extremer Kontrast mit dem schwarzen Punkt, der förmlich den Betrachter anzuspringen scheint.

 

Die nächsten Stunden verlaufen gemächlich und gemütlich, trotz festgelegtem Fotoprogramm kommt kein großer Stress auf. Alle 15 Minuten mache ich mithilfe der Funkuhr ein formatfüllendes Bild an der großen Russentonne, nur mit den Mehrfachbelichtungen wird es zunehmend schwieriger wegen des fehlenden Kugelkopfes. Mehr und mehr schräger muss ich die Stativbeine stellen. Anfangs geht das noch ganz gut, doch es kommt der Moment, an dem das Stativ am Boden liegt, wenn die Kamera der Sonne folgen soll. Dann ist Ende mit den 3-fach Bildern. Doch noch ist dieser Moment fern, die Konstruktion sieht nur etwas fragwürdig aus. Damit nicht alles nach hinten kippt, muss ich schwere Steine auf die vorderen Stativbeine legen.

 

 

Zwischenzeitlich hat sich der Wind fast völlig gelegt und die Temperaturen sind bei 29°C angelangt. Der Dunst in dem weiten Tal beginnt langsam, sich aufzulösen. Sonnencreme tut Not, und ohne Hut wäre das hier ein heißes Unterfangen. 4 mitgebrachte Sitzkissen dienen mir zum hinknien vor den Geräten. Zwischendurch kommt per SMS die Meldung von Heike, dass auch vom heimischen Balkon gespechtelt wird. Mit dem Fernglas und einer Sofibrille ist man hier live dabei, und keine Wolke trübt die Sicht.

 

 

Venus greatest eclipse

 

Um 10.20 Uhr ist wieder Einsatz für das Laptop. Venus hat den geringsten Abstand zum Sonnenmittelpunkt erreicht. Das Seeing ist nochmals besser als heute früh. Dies dokumentiere ich 5 Minuten und kehre danach wieder zum analogen Fotoprogramm mit den formatfüllenden Bildern im 15- Minuten- Takt zurück.

 

Montecatini Alto - die Sonne brennt. Aber wir sind gut geschützt und können immer wieder schattige Plätze unter den Olivenbäumen aufsuchen. Der Platz ist so sehr abgelegen, dass sich kein Besucher zu uns verirrt. Gelegentlich scheinen einige Touristenbusse am Aussichtspunkt weiter oben anzuhalten.

 

Zwischenzeitlich sind unsere Getränkevorräte fast völlig verbraucht, und Manfred macht sich zu den nächsten Häusern auf, um Flüssigkeit zu besorgen. Als Bestechungsleckerli gebe ich ihm eine Finsternisbrille mit auf den Weg. Und obwohl sich die Unterhaltung und das Bitten nach Wasser wieder auf die Zeichensprache beschränken muss, ist Manfred erfolgreich. Während alle Anwohner am Venustransit- Spechteln sind, genießen wir unsere gekühlte 2-Liter-Flasche mit Montecatini- Wasser. Italiener sind immer hilfsbereit.

 

Service ?


 

Und in diesem Zusammenhang muss ich, wie in jedem Sofi- Bericht, auf den scheinbar weltweit funktionierenden Finsternis- Service aufmerksam machen.

Zur Sofi 01 in Sambia wurde mir von Beverly Bachmeyer Wasser an den Spechtelplatz gereicht, 2002 brachte mir unser Guide Harald einen Kaffee an's Teleskop, für die ASE 2003 in Island bekamen wir im Hotel in Egilsstadir ein großzügiges Lunchpaket gestrickt, und jetzt, 2004, ist es wieder Wasser, dass Manfred anschleppt.


 

Mittlerweile ist es mir nicht mehr möglich, Bilder mit der kleinen Russentonne zu machen. Das Stativ liegt fast am Boden, während die Sonne schon 48° hoch steht. Und damit endet - zugunsten Manfreds regulärem Fotoprogramm - leider die Mehrfachbelichtungs- Serie. Dennoch hätte ich nicht damit gerechnet, überhaupt so lange damit arbeiten zu können.

 

 

 

Ein Blick vom Wettersatellit zeigt die Situation für Europa um 11.40 Uhr MESZ:

 

12.30 Uhr

Venus ist auf dem Weg zum Sonnenrand. In rund 35 Minuten beginnt schon wieder der Austritt. Wie Pfeile zeigen unsere Teleskope steil in den Himmel auf eine Sonne, die gnadenlos brennt. Zwischenzeitlich haben sich von Norden ein paar harmlose Quellwölkchen gebildet, aus Süden sind ein paar Zirrus- Fetzen aufgezogen. Sie sind keine Gefahr für unser Programm. Doch tatsächlich zieht ein winziger Zirrus- Fetzen über die Sonne, aber ohne dass eine Sichteinschränkung zu verzeichnen wäre.

 

 

Bis zum letzten Tropfen

 

Vielmehr macht sich brütende Hitze breit. 34°C im Schatten, aber noch relativ angenehm zu ertragen wegen des Olivenwäldchens. Um 13.00 Uhr habe ich die letzte formatfüllende Sonnenaufnahme gemacht, es ist Zeit für den letzten Einsatz der Webcam. Das Seeing ist sogar noch besser geworden, die schwarze Venus flimmert nicht sehr stark. Sie ist nahe am Sonnenrand in der 4- Uhr- Position. Ich schaue ganz genau und versuche, dem möglichen Bailischen Tropfen zum dritten Kontakt aufzulauern. Beim besten Willen: Da ist nix, auch keine gedankliche, erahnte, gewünschte, eindeutige oder reale Brücke zwischen Venus und Sonnenrand. Vielmehr läuft eine recht scharf begrenzte Venus auf den Sonnenrand und beginnt um 13:04 Uhr, ihn zu berühren.

 

Das Tropfenphänomen kann auch Manfred nicht bestätigen. Da ich es nicht genau weiß, kann ich zunächst nur vermuten, dass es vielleicht infolge mangelhafter Auflösung (Schärfe) der Teleskope vor 122 Jahren zu einer optischen Täuschung gekommen ist. Denkbar ist auch, dass ein Okular im Randbereich eine höhere Verzeichnung verursacht und daher eine tropfenförmige Venus zeigen kann. Trotzdem, irgend etwas wahres muss ja an der Sache sein. Es bleibt nur abzuwarten, wie die Ergebnisse anderer Beobachtung ausfallen.

 

schon vorbei

 

Jetzt gilt es noch, den Zeitpunkt des 4. Kontaktes auszutimen. Es ist sehr gut auf dem Laptop- Monitor mitzuverfolgen. Um 13.34 Uhr stellen wir fest, dass die Venus die Sonne verlassen hat und der Transit 2004 beendet ist. Überglücklich bejubeln wir den erfolgreichen Abschluss dieses historischen Ereignisses. Wir konnten von Anfang an bis zum Ende dabei sein - besser konnten die Bedingungen kaum werden. Der Platz konnte schöner in der Region nicht sein. Und so geht neben einem  Merkur- nun auch ein vollständiger Venustransit auf unser Beobachtungskonto.

 

Nach einer letzten Aufnahme um 13.30 Uhr endet die Aufnahmeserie, das Abbauen der Geräte kann beginnen. Und das gleicht in meinem Falle eher dem Verpacken eines Post-Paketes. Die Reisetasche ist komplett mit Kunststofffolie und Packpapier ausgekleidet, um alles sicher nach Hause zu befördern. Fast eine Stunde dauert das Abbauen und Einpacken. Es bleibt dabei, dass wir die ganze Zeit völlig ungestört ohne Besucher waren. Mit einem guten Gefühl verlassen wir unseren Beobachtungsort, der vielleicht einer der schönsten unserer bisherigen Spechteltouren war.

 

Hier das Satellitenbild für 16:50 Uhr, auf dem man die allgemeine Wolkenzunahme im Vergleich zum Vormittag gut sehen kann. Zum Vergrößern auf das Bild klicken:

 


Die Astronomie macht aus geographisch unbedeutenden und vielleicht sogar langweiligen Orten nahezu

heilige Plätze,

 die das Erlebnisgefühl für immer in Gedanken aufleben lassen.


 

zurück zur Zivilisation

 

Über die engen Gassen verlassen wir das Bergland und kehren zurück in das Tal. Heute Morgen waren alle kleinen Geschäftchen noch geschlossen, weil es zu früh war. Jetzt ist ebenfalls alles geschlossen, weil es zu heiß ist - Siesta ist angesagt. Es ist wieder nichts zu kriegen. Also machen wir uns gleich auf den Weg nach Pisa, zum Platz der Wunder (Piazza dei Miracoli) mitsamt dem schiefen Turm (La Torre). Und den können wir sogar schon von der Autobahn aus sehen.

 

In der verkehrsinfarkt- gefährdeten Stadt angekommen, dauert es fast eine halbe Stunde, bis ein brauchbarer Parkplatz gefunden ist. Wir überqueren den Fluß Arno, an dessen Uferpromenade auch einige Kirchen stehen. Ich frage ein Pärchen aus London nach dem Weg zum Turm. Doch die beiden sind auf der gleichen Suche und  trotz Karte sind sie ziemlich ratlos. Also fragen wir uns weiter durch und gelangen schließlich an das Ziel, dass man aufgrund der Menschenmenge wirklich nicht übersehen kann. Zunächst kümmern wir uns um unseren Hunger.

 

Für lächerliche 20.- Euro gibt's eine entsetzliche Mini-Pizza Margaretha, ein Sandwich und 2 Getränke. Wir sehen es als Eintritt an für das Gelände am Platz der Wunder. Ich schätze, Menschen aller Weltnationen sind hier zu finden. Ebenfalls zahlreich sind die Straßenhändler, die mit Unmengen von Souvenirs auf sich aufmerksam machen.

 

der schiefe Turm

 

Schließlich stehen wir vor den 4 monumentalen Einzelbauwerken. Dies sind der Dom, das Baptisterium, der Campanile und der Camposantos. Hier scheint die Schwerkraft außer Kraft gesetzt. Tatsächlich, mit 5,10 Metern Überhang zur Geschäftsstraße geneigt, steht hier der weltberühmte Turm.

 

Alle Gebäude können besichtigt werden, doch leider ist die Wartezeit für die Turmbegehung für unsere verbleibende Zeit zu knapp. Wir machen einige Fotos von der Anlage. Der wohl größte Spaß ist, den Japanern beim kollektiven Turm- Stützen und Posing zuzuschauen. Die Stimmung ist überhaupt sehr gut hier.

 

 

Die Zeit ist da, den Flughafen aufzusuchen und unseren silbernen Dieselflitzer abzugeben. Am Flughafen "Galileo Galilei" machen wir noch ein paar Bilder von uns, dann machen wir uns auf zum Check- in. Schon erstaunlich, wie vielen Leuten das Hauptgepäck- Limit von 15 kg nicht bekannt ist. Gleich mehrere Passagiere dürfen sehr tief in die Tasche greifen. 10kg und mehr sind keine Ausnahme.

 

 

Wir genehmigen uns einen letzten Imbiss vor dem Flug, aber das Schinken- Sandwich ist derart trocken und ungenießbar, dass mir dieser Tag nicht gerade als kulinarisches Highlight in Erinnerung bleiben wird. Gleich 3 fragwürdige Mahlzeiten an einem Tag machen es mir schwer, mein Gewicht zu halten.

 

Wie auch immer, Ryanair ist pünktlich, wie es die Eisenbahn früher einmal war und fliegt uns um 22:25 Uhr nach Hahn. Und jetzt machen sich allmählich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Ausgerechnet wir sitzen in der Reihe vor etlichen, ausgesprochen redseligen Zeitgenossen, für die auch das belangloseste Thema eine breite Diskussion wert ist. Um diese Zeit! Aber das steht ja schon am Anfang dieses Berichtes über unsere Kurzreise zum Venustransit 2004 nach Italien.

 

 


Zusammenfassung und Fazit dieser Kurzreise::

 

Daumen hoch für:

 

*** Die Wetterbedingungen hätten zur Beobachtung nicht besser sein können. Das ursprüngliche Ziel, den ungünstigeren Wetterkonditionen zuhause entgangen zu sein, wurde eindeutig erreicht. Vorteile haben sich schon alleine aufgrund der besseren Durchsicht ergeben. Daher gilt dieser günstige Kurztrip als voller Erfolg.

*** Ryanair ist grundsätzlich empfehlenswert. Der Flughafen zeigt sich trotz aktiver Bauphase neuer Parkplätze insgesamt sehr übersichtlich und man findet sich auf Anhieb schnell zurecht. Die Flugzeiten sind als absolut pünktlich zu bezeichnen, die Ankunft lag sogar je 25 Minuten vor der angegebenen Zeit. Das Gepäck kam vollständig und unbeschadet zurück. Die Freundlichkeit der Mitarbeiter ist in Ordnung, die Preise an Bord zumutbar. In der Maschine nach Pisa ist uns einzig der nicht saubere Fußboden negativ aufgefallen.

 

Daumen halb hoch für:

** PKW- Mietstation Hertz.

Mitarbeiter in der Anmietstation am Flughafen wirkten schroff und genervt auf Fragen. Positiv ist zwar der Bus- Shuttle zum etwas abgelegenen Fuhrpark, doch es erfolgt auch auf Anfrage keinerlei Kurzanweisung zum PKW. Der Mietwagen hatte deutlich sichtbare Beschädigungen, auf die nicht hingewiesen wurde. Alternativ zum Auftanken wird die Rückgabe mit leerem Tank für 41,- Euro zusätzlich angeboten.

 

Daumen runter für:

* Das Hotel Ambrosiano in Montecatini Terme. Dem Mitarbeiter konnte man für seine nicht- internationalen Sprachkenntnisse nun keine Vorwürfe machen. Doch für ein 3***- Hotel könnte man die sprichwörtliche italienische Gastfreundschaft erwarten. Wir empfanden die Abwicklung als sehr unfreundlich. Die Parkgarage für 10 Euro bei 5 Stunden Nutzung ist eindeutig zu hoch. Das Zimmer hatte eine defekte Klimaanlage bei 27° Zimmertemperatur (keine gekippten Fenster), durch den verstopften Abfluss lief das Badezimmer und der Zimmerflur voll Wasser. Zum Frühstück gab es lediglich abgepackten Zwieback, Cornflakes und einen ungenießbaren Pulverkaffee. Billig ist also nicht immer besser.

 


Bericht erstellt von Alexander Birkner, 10. Juni 2004