Samstag, 31. Mai 2003

yes, we have eclipse-day again!

ASE 2003 / Saros 147 (22/80)

Die Bilder können durch Anklicken vergrößert werden (neues Fenster)


Aufnahmegeräte: Russentonne 1000mm mit Canon EOS 50+IR-Auslöser, Fokaltechnik,

Sony CCD-TR57 Hi8-Camcorder zur zeitgenauen Dokumentation der Finsternisereignisse.

zusätzlich Canon EOS 1000 mit 70-300 mm-Objektiv für Landschaftsaufnahmen während der Finsternis.


Das sieht gut aus, wenn ich mir das Zurückweichen der Wolken am Horizont anschaue. Ein großer, breiter Streifen blauen Himmels steht im Norden und wird zunehmend größer. Wir sind auf einer windigen Hochebene irgendwo im Nichts vor Grimsstadir und stehen in einer auf der Karte nicht verzeichneten Schutzhütte. Ein günstiger Ort für eine Not-Übernachtung. Strom ist dank eines Solarzellen-Accus da und reicht für die Neonlampen-Beleuchtung. Auch ein Gasheizer ist eingebaut und mit einer schweren Kette vor Diebstahl gesichert. 2 Betten nebst Decken gibt es auch.

Wenn sich die Fenster öffnen ließen, wäre es ein hervorragend komfortabler Windschutz, um die Finsternis zu beobachten, die in gut 2 Stunden beginnen wird. Doch das ist eben nicht machbar. Wir fahren weiter in Richtung Norden und beschließen, nicht nach Westen in Richtung Myvatn zu fahren, sondern nehmen den Weg in Richtung des Dettifoss-Wasserfalls. Die Schotterpiste führt weiter über die windige, schwarze Wüste. Weit und breit kein Fahrzeug unterwegs. Am Horizont kann man beobachten, wo die Sonne ungefähr steht.

In der Nähe eines Gehöftes peilen wir mit dem Kompass die Lage. Zwar wird es sicher eine gewisse Missweisung von der korrekten Richtung geben, aber als grobes Schätzeisen dürfte es ausreichen. Ein breiter Bergrücken behindert minimal, aber möglicherweise entscheidend die Horizontsicht. Es sind offensichtlich die Berge Haugsnibba und Bunga, die in weiter Ferne liegen und über 900 Meter hoch sind. Als einzigen Ort hier oben nennt die Karte den Ort Holssel.

Wir folgen dem Weg in Richtung Dettifoss. Das Gelände ist überwiegend flach. Kleine, schwarze Sandhügel, die sicher der Wind im Laufe der Zeit zusammengeweht hat, bieten etwas Windschutz. 6° zeigt das Thermometer, der Wind tut sein übriges. Langsam und prüfend fahren wir den Weg entlang, steigen immer wieder aus, prüfen die Bedingungen vor Ort, fahren etwas weiter, prüfen erneut die Hügel etwas abseits der Straße. Nach über einer weiteren Stunde Pirschfahrt sind wir noch etwa 18 km vom Dettifoss entfernt. Hier soll es sein!

Ein unscheinbarer und unspektakulärer Ort für die Sonnenfinsternis-Beobachtung, doch zumindest was freie Sicht und Windschutz angeht, ist er die beste Wahl. Keine Hindernisse in Richtung NO laut dem Kompass. Etwas mystisches geht von diesem Platz aus, trotz der Nervosität ist es eine spannende Sache, hier oben.  Es ist an der Zeit, die Geräte aufzubauen und sich auf die Finsternis vorzubereiten.

Manfred hat seine Windmuschel, ein kleines aber jetzt dringend erforderliches Zelt, mitgebracht und baut es auf. Den Wagen stellen wir so auf die Straße, dass er zusätzlichen Schutz vor allzu kräftigen Böen bietet. Jeder Handgriff sitzt, und doch herrscht eisernes Schweigen beim Aufstellen der Geräte. Die Wettersituation ist wieder umgeschlagen. Über mir steht eine dicke Wolkenfront, die aus Süden kommt und sich nach Norden aufmacht - das kann doch nicht wahr sein! Die ganze Zeit hat es gepasst. Jetzt ist es zu spät, weiter nach Norden zu fahren. Die Raserei hätte keinen Zweck, ich bin viel zu aufgeregt. Stattdessen schaue ich nochmal auf das timetable für den Finsternisablauf. Die Daten von Grimsstadir nehme ich als Orientierung.

1. Kontakt : 03:05:56 UT

2. Kontakt : 04:00:45 UT

3. Kontakt : 04:04:20 UT

4. Kontakt : 05:00:42 UT

Dauer der Ringphase 03:36

Eine Lichtsäule kündigt die bald aufgehende Sonne an. Zarte Schleierwölkchen bilden sich jetzt in dem verbliebenen, unbewölkten Streifen am Horizont. Es zeichnet sich ab, dass die Wolken sich weiter nach Norden bewegen. Um 2.47 spitzt die Sonne mit einem grünen Blitz über den Horizont. Doch wegen der verzögerten Spiegelvorauslösung der Kamera ist er später auf den Bildern nicht zu sehen. Der Aufgang erfolgt genau da, wo es uns der Kompass angezeigt hat. Selbst unter günstigen Umständen hätte ich infolge der Missweisung eine so präzise Angabe nicht von einem 4,95-Euro-Kompass erwartet. Unglaublich! Die Luft ist so klar und sauber, dass der Blick auf die gerade aufgegangene Sonne fast nicht ohne Schutz möglich ist! Das kenne ich von Deutschland nicht. Dadurch lassen sich die Belichtungszeiten drastisch verkürzen. Bald wird das Filter nötig sein.

Um 03:05:22 ist es soweit: Mit dem ersten Kontakt hat die Finsternis begonnen. Von rechts stößt der Mond in die Sonne. Deutlich sind 3 Sonnenflecken zu erkennen. Schnell zeigt sich eine auffällige Delle. Ich mache Bilder mit und ohne Filter. Es sollen die einzigen von dieser Finsternis bleiben. Schon um 3.25 taucht die Sonne langsam mit der Oberkante in das gnadenlos dicke Wolkenband aus dem Süden ein. Die letzten Aufnahmen kriegen wir um 3.30. Die teilverfinsterte Sonne ist hinter der Wolkenbank verschwunden. Keine Chance auf Besserung. Einige helle Bänder lassen meine Hoffnung, vielleicht später wieder etwas zu sehen, nicht ganz sterben.

3:40 Uhr: Manfred ist derart frustriert, dass er das Teleskop schon jetzt wieder abbaut und verpackt. Für mich unvorstellbar. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass es vorbei ist, doch dann will ich wenigstens die Umgebungseindrücke beobachten und versuchen, zu erkennen. Eine deutliche Abdunkelung kann ich nicht feststellen. Nur ein ganz schmaler, heller Streifen ist im Nordhimmel übrig geblieben. Im Süden ist es dunkler als im Nordosten, wo die Sonne steht.

3:55 Uhr: Eine Bodenformation vor dem Zelt, die mir zur Orientierung für die Helligkeit dient, ist etwas dunkler als noch vor 5 Minuten. Hätte ich nicht ganz besonders darauf geachtet, wäre es mir nicht weiter aufgefallen. Der Belichtungsmesser der EOS 1000 sagt aber, dass er für eine korrekte Belichtung 1/20s nehmen würde. Und 1/60 war es noch vor 10 Minuten. Alleine messtechnisch also eine klare Abdunkelung.

04:01 Uhr: Die Ringphase ist mit Sicherheit eingetreten. Ein abrupter Helligkeitsabfall ist mir nicht aufgefallen. Der Gesamteindruck der Landschaft kommt mir vor, wie während der Dämmerungsfahrt heute Nacht, als die Sonne gegen 1.00 Uhr am tiefsten unter dem Horizont stand. Das Licht ist farblich nicht verändert oder flau. Lediglich minimal schwächer wie vorher. Zweifelsfrei die hellste meiner 3 Finsternisse, die ich in den Jahren zuvor beobachtet habe. Und der Wind ist plötzlich so heftig geworden, dass sich der Zeltboden hebt, trotz Befestigung mit langen Nägeln. Sehr auffällig, dass es gerade jetzt in der Ringphase so stürmisch ist. Kräftige Böen zerren mit Gewalt am Zelt, in dem ich sitze. Ich denke an die vielen Orte, die als Beobachtungsplätze in Frage kamen. Wie sieht es wohl in Schottland aus? In Grönland? Was sehen die Beobachter in den Flugzeugen über der Insel?

04:06 Uhr: Die Ringphase ist mit Sicherheit vorbei. Kaum eine Veränderung des Lichtes in der Umgebung, nur minimal heller erscheint das Gestein vor dem Zelt. Nicht den Hauch einer Andeutung der Sonnensilhouette in dem dicken Wolkenband, dass jetzt den Horizont vollständig umspannt. Bloss einige leichte Aufhellungen in der grauen Suppe. Unendlich schade.

Dennoch - eine eindrucksvolle Finsternisjagd liegt hinter mir. Das Ergebnis war so nicht absehbar. Doch mit ziemlicher Sicherheit wären wir bei Vattarnes völlig ohne Bildmaterial nach Hause gefahren.

Um 4.45 Uhr zeigt sich die Sonne noch einmal ganz schwach. Mit viel Phantasie kann ich sehen, dass der linke Teil der Sonne noch partiell verfinstert ist. Doch Details kommen nicht zutage. Es bleibt suppig. Da klingelt das Handy. Der Empfang ist äußerst schwach - einen Segmentstrich zeigt das Display an. Es ist Timo Karhula aus Schweden, der mit seiner Mutter ebenfalls eine Island-Reise angetreten hat. Er steht nahe Olafsfjördur im Nordwesten und konnte die Ringphase mit vielen anderen Beobachtern durch ein Wolkenband hindurch beobachten. Mit der Videokamera hat er die Finsternis dokumentiert. Wir plaudern noch eine Weile; überdies ist auch der 4. Kontakt vorüber.

Die ASE 2003 ist vorbei.

Mit diesem Ende beginnt jetzt eine lange Durststrecke bis zur nächsten, sinnvoll erreichbaren zentralen Sonnenfinsternis. Es ist die ringförmig-totale Finsternis am 8. April 2005. Die Totale über der Antarktis bleibt den Superreichen vorbehalten.

Der Abbau meiner Geräte und des kleinen Zeltes ist schnell erledigt. Alle Anspannung ist weg, das zentrale Ereignis liegt hinter uns. Manfred versucht, mich über die Enttäuschung hinwegzutrösten. Doch nach all der nächtlichen Fahrerei brauchen wir etwas Ruhe. Wir fahren an den Parkplatz zum Dettifoss und versuchen, ein wenig zu schlafen.

Sektfrühstück im Auto ist angesagt. Das Erlebte runterspülen. Söhnlein Brilliant am Dettifoss. Dazu ein zarter Nieselregen. Das Leben ist hart! Wir gehen hinunter zum Wasserfall. Der Weg führt über eine schroffe Lavasteintreppe. Auch hier gibt's eine kräftige Gischtkrone. Fotografieren ist kein Vergnügen; der Nieselregen benetzt die Objektive.

Hier ein Video davon, wie Sheridan Williams die Ringphase in Schottland gesehen hat.

Wir fahren auf dem Rückweg erneut an unserem Sofi-Spechtelplatz vorbei und zurück auf die Hauptroute, die uns zum Myvatn-Gebiet führt. Vor dem Namafjall zweigt die Straße nach rechts ab zum Krafla-Kraftwerk. Da tauchen silberfarbige Rohre in der Landschaft auf. Sie enden am Kraftwerk, wo Berge von Wasserdampf über der Anlage stehen. Schwerer Schwefelgeruch liegt in der Luft. Rechts von uns ein Schwefelflüsschen, dass den gelben Stoff mit sich transportiert. Über einen steilen Berg gelangen wir zum Krater Viti. Doch wegen des starken Windes und heftigem Regen schauen wir uns nur das Kraftwerk-Gelände von oben an. Das nächste Ziel ist ein absolutes Highlight. Ein gelborangefarbener Berg liegt vor uns, der Namafjall bei Grjotagja. In der Vergangenheit wurde hier Schwefel abgebaut und nach Husavik verfrachtet.

Heute ist das Solfatarengebiet in erster Linie eine beeindruckende Touri- Attraktion. Ich muss sagen, mich begeistern diese kleinen Tore zur Hölle nicht minder. Es sieht aus wie auf dem Jupitermond Io. Unter lautem Zischen wird schwefliger Dampf an die Oberfläche befördert. Der Wind knickt die Schwefelfahne und Dämpfe nach rechts. Die kleinen Hügelchen, aus denen die Dämpfe herausschießen, sind direkt zugänglich. So nahe davor denkt man unweigerlich daran, wie es wohl sei, wenn dieser hysterische Steinhaufen plötzlich explodieren würde. Eine ganz fremdartige  Landschaft. Schwarzer Schlamm blubbert in 50 cm großen Blasen an die Oberfläche. Der Boden ist eingerissen oder an manchen Stellen eingebrochen. Das ganze Gebiet ist vollkommen aktiv, ja, wirkt fast lebendig. Ein natürliches Chemielabor.

Was ich jetzt brauche, ist ein Bett zum Ausruhen. Das Wetter ist uns ohnehin nicht milde gestimmt, und so fahren wir nach einem Einkauf direkt zum nächsten Hotel bei Narfastadir vor Laugar. Ein schönes Anwesen, innen großzügig gestaltet, sogar mit Bibliothek. Eine SMS kommt von Stefan Krause. "Erfolg bei Olafsfjördur".

Wir gönnen uns eine Auszeit und holen den fehlenden Schlaf nach. Am Abend beteiligen wir uns am Hotel-Buffet. Leckere Sachen sind dabei, z.B. ein Lachsfisch-Auflauf. Das Hotel hat auch prominente Gäste; Jean Meeus und sein Sohn übernachten hier. Aufmerksam geworden durch unser ASE-Schild am Yahris, kommen wir ins Gespräch und erfahren, dass bei Egilsstadir keinerlei Beobachtung der Finsternis möglich war. Die beiden tragen es mit Fassung.

Mit Stefan Krause vereinbare ich ein Treffen in Akureyri am Folgetag. Zu neugierig bin ich auf das Bildmaterial, von dem er mir berichtet.

Im isländischen TV ist die Sofi auch ein Thema. Doch gute Bilder gibt es kaum, die Kameras zeigen meist nur völlig überstrahlte Sonnen ohne erkennbaren Ring. Jay Passachoff spricht vor seinem Eclipse-Flight mit Reportern des isländischen Fernsehens. Hier Bilder von seiner Tour. Er ist einer Besucherin aus Frankreich im Hotel namentlich bekannt, die selbst kein Glück hatte.

Nach einem gemeinsamen Bierchen geht dieser gnadenlose Samstag für Manfred und mich zu Ende.

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