Donnerstag, 21. Juni 2001

oh yes, we have Eclipse-Day!


Und dies sind die wichtigsten Daten des Tages: Der exakte, zeitliche Verlauf der Finsternis für unseren Beobachtungsort im Eclipse-Camp:

1. Kontakt: 11:41:13.60 UT

2. Kontakt: 13:09:00.52 UT

  Maximum : 13:10:48.65 UT

  3. Kontakt: 13:12:36.03 UT

4. Kontakt: 14:27:01.08 UT

Die technischen Daten des Tages:  

Eclipse Camp 14.97951 S, 28.11827 E, 1200 m (=14:58:46S,28:07:06E)

Sonnenuntergang 17:46, Sonnenaufgang am 21.06. 06:32, Sonnenuntergang am 21.06. 17:47 Sonnenaufgang am 22.06. 06:32

Monduntergang 16:55 , Mondaufgang am 21.06. 06:16 , Monduntergang am 21.06. 17:52 , Mondaufgang am 22.06. 07:19

Typ der Finsternis: t , Grad der Bedeckung im Maximum: 1.021

Verhältnis der scheinbaren Größen von Sonne und Mond im Maximum: 1.0444741136755358

                 

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Und das ist der Stimmungs-Eindruck von diesem besonderen Tag voller Wunder...

Einer für afrikanische Verhältnisse wirklich sehr kalten Nacht mit tiefsten Temperaturen von nur ca. 6°C begegnet man am besten mit der entsprechenden Kleidung. Eine lange Unterhose, Wollsocken, und 2 langärmelige T-Shirts reichen aus, um im Schlafsack nicht erfrieren zu müssen. Nach nervösem, kurzen Schlaf wache ich gegen 6.45 Uhr auf und schaue skeptisch aus dem Zelt. Tautropfen hängen überall auf der vorbereiteten Montierung. Der Wind weht leicht über das Feld, auf dem unsere Zelte stehen. Und die Sonne hat sich gerade entschieden, über dem Horizont aufzugehen. Ich beginne, die ersten Eindrücke des noch jungen Tages auf das Diktiergerät zu sprechen. 

Zu meiner Erleichterung stelle ich fest, dass keine einzige Wolke am Himmel steht. In der Ferne, am Südhorizont, steigen leichte Rauchschwaden eines Buschfeuers auf.

Von der Gruppe ist nur Beverly zu sehen. Sie wärmt sich am Lagerfeuer, dass die ganze Nacht hindurch brennt. Zusammen mit Bev fülle ich Kaffeewasser zum Aufbrühen in den grossen Gusskessel. Doch die Einsicht, dass das Wasser eben nicht so schnell wie in einer Kaffeemaschine gekocht ist, lässt mein Interesse an der morgendlichen Koffeindosis erst einmal schwinden. Steine sind jetzt mein wahres Begehren! Und zwar als Gegengewicht für die Montierung. Die Ausrüstung mit ihren knappen 6 kg verlangt  auf der Gegenseite von Teleskop und Videokamera ein ähnliches Gewicht, um leichtgängig zu bleiben. Aber hier gibt es nur trockenen Erdboden und Stroh. Zu geringes Gewicht. In der Nähe des Farmer-Hauses werde ich fündig und bekomme Steine in allen Grössenklassen. Ich bestücke die Montierung mit den Arbeitsgeräten für die Finsternis. Die Russentonne in Verbindung mit der Canon EOS 50; parallel daneben montiere ich  die Sony CCD-TR 67 Videokamera. Getragen wird beides auf einem Brett.. Etwa einen Meter neben der Teleskopmontierung stelle ich ein weiteres Stativ mit der Kamera für die Landschaftsaufnahmen bereit. Die M42-Kamera wird mit dem 20mm Weitwinkel-Objektiv bestückt. So ergeben sich satte 94° Bildwinkel, um möglichst viel von der Landschaft ringsum auf das Bild zu bekommen.

Mittlerweile sind auch die meisten aus ihren Zelten gekommen. Angesichts der bevorstehenden Finsternis denkt man eigentlich kaum an Frühstück, aber Kaffee und  Müsli sind eine wirklich brauchbare Nervennahrung.  Es fällt mir eine ungewöhnliche Ruhe beim mehr oder weniger gemeinsamen Frühstück auf. Es ist nicht die ansonsten so heitere, morgendliche Runde. Heute ist wirklich etwas besonderes, und man merkt, das etwas in der Luft liegt. Für uns alle wird dies heute der kürzeste Tag...Nicht nur wegen der Wintersonnenwende.

Obwohl beim Aufbau und dem Einstellen der Geräte auf der Montierung alles klappt, kommt mir das Arbeiten wir in Zeitlupe vor. Die Uhrzeit muss immer im Blick sein. Das „first light“ des Tages durch die Russentonne zeigt eine Sonne, die im Südwest-Quadranten mehrere hochinteressante Fleckengruppen präsentiert. Einer der Einzelflecken ist so gross, dass er sogar bereits mit einer Finsternisbrille erkennbar ist. Somit ist uns ein naked-eye-sunspot beschert!

08.15 Uhr

Noch gut 5 ½  Stunden bis zum Beginn der Finsternis. Meine Geräte sind vorbereitet, aber nun geht es an die Feinheiten. Es gilt, den Lauf der Sonne in etwa vorauszusagen. Das ist deshalb so wichtig, weil das Teleskop alle paar Stunden „umgeschlagen“ werden muss. Tut man dies nicht, erreicht irgendwann das Gegengewicht eines der Stativbeine, und das Teleskop würde sich nicht weiterbewegen. Während der Finsternis undenkbar. Und so bringe ich das Teleskop in eine Position, in der ich mir zum jetzigen Zeitpunkt fast den Hals brechen muss, um noch durch den Kamerasucher sehen zu können. Aus dieser Lage verschiebt sich das Teleskop nach und nach mit dem Lauf der Sonne, und erreicht in ca. 3 Stunden einen angenehmen Einblickwinkel.

Während ich mit der Technik beschäftigt bin, vernachlässige ich sträflich das Eincremen meiner Haut mit Sonnenmilch. Erst Marc, der bereits zum zweiten Male zur Flasche (mit der Sonnencreme!) greift, erinnert mich an diese Tätigkeit, die ich sehr verspätet nachhole.

 

Obwohl ich nur ungerne meine Stative verlassen will, möchte ich wenigstens noch kurz zu den Kindern des Dorfes gehen. Sie haben sich interessiert an den Rand des Feldes gestellt. Unserer Bitte, die Finsternisbrillen aufzusetzen, kommen sie schnell nach. Kameras klicken, während die Einheimischen für uns posieren. Und so blicken mindestens 18 Kinderaugen mit ausreichendem Schutz in Richtung Sonne. Mich würde interessieren, was nun gerade in ihren Köpfen vorgeht. Beverly hat gestern das Dorf besucht und Zeichnungen von den Kindern bekommen. Darauf ist zu sehen, wie sie sich die Sonnenfinsternis vorstellen, und wie sie ihre Heimat auf der Erde beschreiben. Als ich ein Bündel mit  Kugelschreibern zum Verteilen heraushole, ist es mit der Ruhe bei den kids erst einmal vorbei. Unzählige Arme greifen nach mir, und die Freude ist gross über die neue Errungenschaft. Kein Stift bleibt übrig. Stolz zeigen die meisten die Stifte an den Hemdtaschen, insofern vorhanden. Manche unserer Gruppe verteilten schon am Vortag Schreibblöcke, und sicher haben sich noch nie zuvor so viele Schreibwarenartikel in dem Dorf eingefunden.

 

11.00Uhr

Der Wind hat zugelegt und ist deutlich heftiger als am frühen Morgen. Einige Zeltabdeckungen flattern in der Luft, Stroh wirbelt umher, die Montierung beginnt zu schwingen. Aber der Sonnenschutzfilter des Teleskopes bleibt davon unbeeindruckt. Leider ist es mir in der vergangenen Nacht nicht exakt gelungen, die Montierung korrekt auf den geografischen Südpol einzustellen. Das ist der Grund, weshalb ich leider nicht über Stunden hinweg mit dem Motorantrieb des Teleskopes arbeiten kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne irgendwann den Erfassungsbereich der Kamera verlassen könnte, ist mir zu hoch. So starte ich einen letzten Versuch mit laufendem Motor, stelle aber eine leichte Auswanderung der Sonne von der Sollposition fest. Ich will kein Risiko eingehen und entscheide mich kurzum, die Steuerung komplett von Hand vorzunehmen. Damit ist einerseits meine 5-Sekunden-Belichtung zum Nachweis etwaiger Neumond-Strukturen während der Totalität gestorben. Andererseits gibt es mit unkorrekt laufendem Motor keine Chance, die Sonne dauerhaft mittig im Sucher zu behalten. Ich schraube schweren Herzens die biegsamen Wellen zur Handsteuerung an und schiesse zunächst ein paar Testfotos. Der praktische Infrarot-Fernauslöser der Kamera arbeitet einwandfrei. Für Ereignisse wie das bevorstehende ist es angebracht, eine frische Lithium-Batterie in die Kamera einzusetzen. Man weiss ja nie. Dann ist es an der Zeit, die vorgesehenen Filme bereitzulegen, und die EOS 50 mit dem ersten zu bestücken.

 

Die an den Viktoria-Fällen stark in Mitleidenschaft gezogene Videokamera bleibt leider bei ihrem Entschluss, den On-Screen-Prozessor außer Funktion zu lassen. Um überhaupt eine Akku-Restzeit-Anzeige zu sehen, muss ich sogar die Backup-Batterie entfernen. Das schlimmste ist wohl der Ausfall der Datums- und Uhrzeit-Anzeige. Die Folge ist der Wegfall einer einfachen und schnellen Auswertung des kompletten Finsternisverlaufes mit Zeitpunktdefinition der Fotografien. Eine manuelle Einstellung der Belichtung ist ebenfalls nicht mehr möglich, es steht nur noch das vollautomatische Belichtungsprogramm zur Verfügung. Das bedeutet eine weitgehende Einschränkung der Effekte, die man ansonsten mit der Kamera erkennen könnte. So werden keine Sonnenflecken während den partiellen Phasen auf dem Film zu sehen sein; ebensowenig Protuberanzen oder die innere Korona. Einzig dicke Diamantring-Effekte zu dem 2. und 3. Kontakt sind zu erwarten und die Hoffnung, dass der CCD-Chip der Kamera diese Helligkeit akzeptiert, ohne abzuschalten..

Deshalb bin ich beruhigt, als mir die Akku-Anzeige eine Restzeit von 699 Minuten suggeriert.

Zwar ist die noch unverfinsterte Sonne als runde, scharfe Kugel im Sucher zu sehen, aber leider werden die Flecken hoffnungslos durch die Belichtungsautomatik überstrahlt. Sehr ärgerlich, aber es nützt nichts im Hinblick auf die bevorstehende Finsternis.

Ich sehe Christina, wie sie 2 Campingstühle als Stativ umfunktioniert, um ihre Landschaftskameras zu befestigen. Bernhard, der sich noch bis vor kurzem in der Sonne bräunte, sitzt nun auch vor seinen Gerätschaften. Mit meiner Handkamera fange ich die eine oder andere vorfinsterliche Stimmung ein. Hektisches, unruhiges Treiben an allen Plätzen. Manfred's Holzstativ trägt ein 500mm-Objektiv mit 2fach Telekonverter, und seine Contax G1 ist parat für Fotos der Umgebung.

Sebastian, unser Reiseführer, ist nun auch entschlossen, die Finsternis mit seinem Teleobjektiv zu fotografieren. Wir helfen ihm, ein Filter für die partiellen Phasen zu basteln. Schnell ist auch das erledigt. Aus der Ferne trägt der Wind manchmal einige Bässe vom „Solipse“-Festival zu uns. Im lokalen Radiosender aus Lusaka spricht Fred Espenak einiges über die Finsternis selbst, und wie sich die Einheimischen am besten verhalten sollten. Interessiert höre ich dem Dialog zwischen Espenak und dem Moderator zu, als ich Sebastian beim Zurechtschneiden des Filters behilflich bin. Alleine dieses Radio-Interview ist zwar eine kleine Sensation, aber mich drängt es wieder an meinen Beobachtungsplatz.

12.30 Uhr

Alle Technik steht bereit. Doch nun ziehe ich mich erst einmal in das Zelt zurück, um einen „Finsternisplan“ auf Kartonfolie aufzuschreiben. Mit Marcs GPS-Daten sind die Kontaktzeiten exakt zu bestimmen. Das fertige DIN-A-4-Blatt klebe ich, wie bei der 99er-Finsternis auch, an das Stativ mit der Landschaftskamera. Zwischenzeitlich fahren einige Touristen mit ihren picups in unsere Nähe, um einen guten Platz zum Beobachten zu bekommen. Der Farmer weist ihnen  sehr zu unserer Beruhigung Plätze abseits unseres Feldes an. Wir bleiben unter uns.

Nun ist es Zeit, sich mental auf das bevorstehende Ereignis einzustellen. Ein total verrückter Gedanke. Heute sind die 22 Monate und 18 Tage seit der letzten Finsternis vorbei, und in etwa einer Stunde beginnt eine der interessantesten Finsternisse für Jahre. Ich bin zufrieden, wenn auch sehr nervös. Wir stehen genau da, wo wir es uns ungefähr vorgestellt haben. Die Wetterbedingungen sind unvergleichlich gut. Die Technik ist einsatzbereit. Da kommt es genau richtig, dass Marc im Biltong-Express noch eine Tafel Schokolade gefunden hat. Diese wird gierig verspeist, wenngleich sich auch kein Hungergefühl einstellt. Dafür bleibt keine Zeit und schon gar kein Gedanke. Marc sieht mit seiner Augenklappe etwas angeschlagen aus. Die Augenklappe ist nicht etwa das Ergebnis eines Streites zwischen uns oder sein Lohn für nächtliches Schnarchen, sondern vielmehr Teil einer Vorbereitung auf die 3 Minuten und 36 Sekunden der Totalität. Wenn das Auge ausreichend dunkeladaptiert wird, sollte es möglich sein, am Finsternishimmel auch schwächere Sterne zu sehen. Ein spannendes Experiment.

Meine Erwartungen und Experimente sind hauptsächlich fotografischer Natur. Mein Ziel sind Bilder des Perlenschnurphänomens mit extrem kurzen Belichtungszeiten von 1/4000 Sekunde. Dabei ist zu sehen, wie sich kurz vor Beginn der Totalität die letzten Sonnenstrahlen durch die Mondtäler brechen. Die letzte Perle wird als Diamantring bezeichnet. Optisch ist der Diamantringeffekt ein absoluter Hochgenuss, aber auf Fotos ist er dann eindrucksvoll, wenn man die Belichtungszeit so verlängert, dass es zu einer Überbelichtung kommt. Marc und ich nennen diese Bilder etwas spöttisch „Touristendiamantring“. Er entspricht in keinem Fall dem visuellen Eindruck. Und so spannt sich mein Belichtungsprogramm infolge der fehlenden, motorischen Nachführung auf Zeiten von 1/4000 Sekunde bis zu 2 Sekunden. Mehr ist für unverschmierte Bilder nicht möglich.

13.30Uhr

Fast jeder ist einsatzbereit auf seinem Platz zu sehen. Die Nicht-Fotografen haben einen Logenplatz auf dem Safaribus gefunden, mit beneidenswerter Rundblick-Möglichkeit. Gabi bevorzugt es, die Finsternis völlig alleine und abseits von uns im Feld zu erleben. Ca. 100 Meter entfernt zu uns kommen einige Touristen in unsere Nähe, 10 Minuten vor dem Beginn der partiellen Phase. Ich stelle mir gerade vor, erst jetzt alles aufbauen zu müssen...Mentale Panik wäre die Folge!

13.39Uhr

Die Augen eines jeden Fotografen schauen durch ihre Sucher, Prismen, oder Okulare. Wenn sich die Wissenschaftler nicht irren, so sollte der Mond jetzt ganz dicht neben der Sonnenscheibe stehen und sich gleich davorschieben.

13.40 Uhr

Die Temperatur am Boden beträgt 27,3°C. Der Wind hat etwas nachgelassen, ist aber dennoch deutlich spürbar. Es wird ruhig am Platz , und jeder lauert hinter seinem Fernglas oder der Kamera auf den ersten Kontakt.

 

13:41:13 Uhr

Die Temperatur steigt leicht auf 28.3°C. Durch die Russentonne ist eine winzige Ausbuchtung an der Sonne zu sehen.

Marc ruft: „Erster Kontakt!“.

Und damit hat die Finsternis vollkommen pünktlich begonnen. Die ersten Bilder werden gemacht, und schon nach einigen Sekunden ist es ganz deutlich erkennbar, wie der Mond bei etwa 8 Uhr die Sonnenscheibe anknabbert. Nach 2 Bildern des 1. Kontaktes stelle ich  meinen Timer auf 5-Minuten-Rhythmus ein, als Vorgabe für alle nachfolgenden Bilder durch das Teleskop und die Landschaftskamera. Die Videokamera agiert hauptsächlich als Diktiergerät und kann wegen der Automatik den Anfang der Finsternis kaum zeigen.

Durch das Teleskop jedoch ist es klasse; ich bin beeindruckt, wie deutlich sich das Mondrandprofil vor dem Sonnenhintergrund abhebt. Es sieht aus wie winzige Ausbuchtungen in der Mondscheibe. Für 1000 mm Brennweite nicht schlecht!

13:49 Uhr , Temperatur:28.3°C.

13:58 Uhr

„Mr. Eclipse-Hat“ Marc sieht bereits am Boden kleine Sonnensicheln, die er durch seinen Strohhut projiziert. Noch besser ist es zu erkennen, als er den Hut vor die Zeltwand hält. Das ist der sogenannte Lochkamera-Effekt, der sich hier bestens zeigt. Auch Christina bekommt mit ihrem grobmaschigeren Strohhut unzählige kleine Sonnensicheln auf einer geraden Fläche zu sehen. Ob die Fotos davon gelingen? Überdies beginnt der Mond nun allmählich, die Sonnenfleckengruppen „aufzufressen“. Ein beeindruckender Anblick in Wolfgangs’ Meade LX200.

14: 05Uhr

Temperatur: 28.7°C. Schon jetzt fällt mir beim Blick über das Feld auf, dass etwas nicht stimmt. Das Licht ist bereits etwas fahler und schwächer geworden, wenngleich mir Robert das noch nicht bestätigen will. Doris kommt zu uns und versorgt uns mit kühlen Getränken, ein unbezahlbarer Service während der Finsternis. Marc bestätigt mir die Veränderungen der Helligkeit und des Landschaftsbildes, diese werden immer deutlicher.

Obwohl mir die 99er Finsternis zuhause als packende Einstiegsdroge in Erinnerung ist, sind die verschiedenen Effekte hier und jetzt doch wesentlich besser zu beobachten. Dieses fahle, leicht rötlich wirkende Licht verstärkt sich.

Ich muss mich doch sehr wundern, als ich durch eine Baader-Brille zur Sonne sehe. So etwas wie flüchtige Wölkchen, die an Mond und Sonne vorbeihuschen, wie ein Schleier. Stärker und schwächer werdend. Was ist das? Keine Wolke steht am Himmel, aber dann können es nur Rauchschwaden von den diversen Buschfeuern sein. Eine Beobachtung, die einen entscheidenden Faktor bei dieser Finsternis prägnant beeinflussen wird, wie sich später herausstellt.

14:41 Uhr

Schon seit einer guten Stunde schiebt sich der Mond vor die Sonne, deren Sichel nur noch zu ¼ zu sehen ist. Bis auf gelegentliche Böen ist es fast windstill geworden, und die Grillen veranstalten weiter ihr leises Konzert im Hintergrund. Auch eine der hysterischen, afrikanischen Tauben meldet sich mit überschnellem Gurren. Der Countdown läuft. Da sorgt Christina für Aufsehen, als sie mit einem Fernglas ein Loch in ihre Finsternisbrille brennt. Bernhard und Alex P schimpfen über ihre Unvorsichtigkeit, und ich rate ihr, die gelochte Brille schnellstens fachgerecht zu entsorgen. Aber denkste, Christina will die Brille lieber als spezielles Souvenir behalten. Vielleicht wird sie später einmal behaupten, die Brille von einem blinden Touristen als Geschenk bekommen zu haben.

14:50 Uhr

Plötzlich ein Schockmoment, der mich blass werden lässt. Nach dem Auslösen eines Bildes blinkt im Kameradisplay der EOS das Batteriezeichen! Ich bin entsetzt und verwundert zugleich. Wie kann eine originalverpackte, frische Batterie nach 10 Bildern schon verbraucht sein? Ich sehe um das Batteriesymbol zusätzlich eine Umrahmung, aber was hat das zu bedeuten? Nun gut, eine Ersatzbatterie liegt ja griffbereit, aber was, wenn der Fehler wieder kommt? Während der Totalität bedeutet es das Ende der Bilderserie. Mir fällt nicht ein, was das Rahmensymbol um das Batteriesymbol zu bedeuten hat.

Das restliche Licht der Sonne, dass nun immer unheimlicher wirkt, lenkt mich sehr schnell von einer Ursachenforschung ab. Eine Minute vor 15.00 Uhr und es ist an der Zeit, die zweite Videocassette in die Hi8-Kamera einzulegen. Obwohl die Sonnensichel nur noch sehr schmal über uns steht, plustert die automatische Belichtung der Videokamera die Sonne zu einem verbeulten Ballon auf. Es ist nicht zu ändern.

15:07 Uhr

Da ist wieder der Eindruck, wenn es so scheint, als würde die Landschaft ringsum zusammengestaucht und kleiner werden. Marc steht direkt neben mir und sieht im Fernglas, wie die Sichelenden der Sonne immer schneller aufeinander zuwachsen. Der Mond hat sein Ziel fast erreicht. Von unserem Platz aus ist auf der linken Seite, im Westen, die dunkle Wand des Kernschattens zu sehen, wie sie auf uns zukommt. Der Anblick hat etwas furchteinflössendes. Genau vis-a-vis ist der Horizont noch relativ hell, aber ich sehe schon ein zartrosafarbenes Band, wie am frühen Abend.

3 Minuten vor dem Ereignis des Jahres, plötzlich von hinten eine Stimme. „God is here, God is here. See the light”. Ein Besoffener, der sich womöglich von der Solipse zu uns verirrt hat, kommt auf unseren Platz. Ich drehe mich nicht um und spreche ein gedankliches Gebet, dass der Kerl zum einen nicht in meine Richtung kommt und zum anderen den Platz schnellstmöglich wieder verlässt und sich in Luft auflöst. Weit mehr ungehalten reagieren die anderen und fordern ihn wüst auf, wieder zu verschwinden. Aber unsere gute Seele Sacky löst das Problem sehr schnell und ruhig, und schon ist dieser Auftritt wieder vergessen. Kaum vorstellbar, hätte der Verrückte jemanden unserer Gruppe direkt angegriffen.

  Die Zeit rast.

Unsere Schatten sind jetzt knallhart, das Licht wirkt auf dem Feld ringsum rotmetallisch und völlig fremdartig. Ich halte Ausschau nach den fliegenden Schatten; ein Szintillationseffekt der Atmosphäre, aber auf dem Strohboden ist davon nichts zu bemerken. Stattdessen ist jetzt der kontinuierliche Helligkeitsabfall ganz dramatisch und offensichtlich spürbar. Die obere Etage macht alles bereit für das kosmische Grossereignis. Das restliche Licht der Sonne schwindet weiter und weiter. Eine letzte Einstellung und mittige Sonnenpositionierung im Sucher. Die Hände bereit an den Filtern, schaue ich ohne Finsternisbrille „nach oben“. Ich sehe gleissendes Licht, dass vom einen auf den anderen Moment stark abnimmt und wie eine kleine Blase zusammenschrumpft. Nur noch 20 Sekunden, jetzt weg mit den Filtern, eine Hand auf den Infrarotauslöser. Das Umgebungslicht ist fast weg. Marc schreit : „Die Korona ist zu sehen“. Mein Puls rast! Ein riesiger und wunderschöner Diamantring leuchtet sekundenlang über dem Mond in der 2-Uhr-Position. Ganz langsam zerfällt er in eine Lichterkette, die rote Chromosphäre der Sonne ist jetzt mit blossem Auge zu sehen. Die Kamera klickt, und jetzt schwindet auch der letzte Lichtstrahl hinter einem Mondtal.

Das ist es!

Euphorischer Jubel bei Marc und mir! Und unbeschreibliches, ehrfürchtiges Raunen über dem Feld.

Die Totalität hat begonnen. Endlich. Wie viel Arbeit, Zeitaufwand, Nachforschungen und Mühe hat es gekostet, um nun genau an dieser Stelle zu stehen, nahezu perfekt auf der Zentrallinie mitten in Sambia! 22 Monate und 18 Tage seit der letzten Finsternis sind vorbei.

 

Die Sonne ist total vom Mond bedeckt. Links unterhalb davon ist Jupiter unübersehbar. Was für eine riesige Korona, die nun über dem schwarzen Mond strahlt. Sie ist so unglaublich gleichförmig und voller Streamer, dass ich einen Moment meiner Brille nicht traue und sie abnehme. Nein, Irrtum ausgeschlossen, die Symmetrie und die Farben der Korona-Streamer ist fast gleichförmig. Am Mondrand tanzen rosarote Feuerzungen, die Protuberanzen. Eine davon ist gigantisch gross und freischwebend über dem Sonnenrand in der 3-Uhr-Region zu finden. Und was kein Bild der Welt festhalten kann, ist diese unübertroffene Dreidimensionalität. Es sind keine Scheiben, sondern Kugeln, die hintereinander stehen! Ein starkes Duo!

Marc ist lautstark begeistert, als er nacheinander die Sterne Sirius, Canopus, Prokyon, Beteigeuze, Rigel und einen der 3 Orion-Gürtelsterne erkennen kann.

Überdies ist meine Aufnahme-Serie nach einer 2-Sekunden-Belichtung erst einmal abgeschlossen. Weiter springe ich an die Landschaftskamera. Bevor ich hier etwas tue, betrachte ich zuerst die Umgebung. Malerisches Orange zieht sich über den ganzen Horizont in alle Richtungen, noch ist es in östlicher Richtung am hellsten. Dahin wandert der Kernschatten weiter. Als hätte sich ein grosser Vogel mit ausgebreiteten Flügeln auf sein Nest gesetzt. 

 

 

 

 

Ja, die Helligkeit! Warum ist es denn eigentlich so unglaublich hell? Ich kann sämtliche Anzeigen aller Geräte ohne Schwierigkeiten ablesen. Obwohl der Schattenpfad mit 169km Breite doch recht ausgedehnt ist. Es muss mit dem Rauch zusammenhängen, an dem sich das restliche Licht stark streut. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Schnell ein paar Fotos von der Landschaft gemacht, dann zurück zum Hauptinstrument. Hier sehe ich nun zum ersten Mal durch den Kamerasucher. Die Korona steht formatfüllend vor meinem Auge, die freischwebende Protuberanz sieht fantastisch aus. Ich höre von Alex P. den Hinweis, nur noch 1 Minute und 10 Sekunden bis zum 3. Kontakt und dem Ende der Hauptvorstellung. So bereite ich die Kamera auf diesen Moment vor und geniesse die wenigen Augenblicke bis dahin. Im Westen ist es schon heller geworden, der Osten ist mehr als vorher getrübt. Direkt über mir ist der Himmel tiefblau, wird im fliessenden Übergang hellblau und endet ab mindestens 10° Horizonthöhe in Rotorange.

Im Teleskop kommt jetzt wieder die Chromosphäre am Mondrand hervor, glasklar, blutrot und messerscharf. Direkt darüber wabert noch etwas flau ein heller Saum; bald wird das Licht der Sonne wieder alles dominieren. Das gibt's doch nicht, schon blitzt der erste Sonnenstrahl bei der 8-Uhr-Position über den Mondrand; der zweite Sonnenaufgang für heute. Wie in Zeitlupe vergrössert sich der helle Ball aus Licht. Es ist einfach ein zauberhafter Anblick, wie die Strahlen länger und grösser werden. Noch während Marc beginnt, der schwindenden Finsternis nachzutrauern, endet meine Aufnahmeserie mit kürzesten Verschlusszeiten von 1/4000 Sekunde bei Filmende.

Es ist vorbei.

Saros 127 ist um einen weiteren Vertreter seiner Art ärmer.

Sehr langsam wird es wieder heller. Gott hat gesprochen, wie Adalbert Stifter das im Jahr 1842 treffend bemerkte. Und das hat überall Eindruck hinterlassen.

Das Schweigen in der Gruppe ist für jeden richtig laut geworden. Hier und da umarmen sich einige, Tränen fliessen, gänzlich artfremde Freudentänze werden aufgeführt, und von der Strasse tönt ein Hup-Konzert, wie es die Region wohl noch nie erlebt hat. Jubel aus allen Richtungen. Ich bin sichtlich gerührt von den letzten 3 Minuten und 35 Sekunden, die viel zu schnell vorübergingen. Die Popgruppe Queen beginnt einen ihrer Hits mit den Worten:"It's a beautiful day. The sun is shining". Dieses Lied, welches von Erfolg im Leben handelt, geht mir durch den Kopf.

Noch bevor wir uns in die Arme fallen, wechsle ich den Film für die nachfolgende, 2. partielle Phase der Finsternis. Ganz sicher bin ich nicht, aber vermutlich beenden einige aus der Gruppe ihr regelmässiges Belichtungsprogramm. Und es ist nachvollziehbar, denn jetzt ist klar, dass diese Reise EIN VOLLER ERFOLG geworden ist. Begeistert unterhalte ich mich mit den anderen über das Erlebte. Es ist ein schönes Gefühl, all' diese Erlebnisse gemeinsam erfahren zu haben. Wer hätte mit dieser Helligkeit gerechnet? Oder wie majestätisch stand diese Riesen-Protuberanz am Sonnenrand, die der beste Kandidat für das Wahrzeichen dieser Finsternis ist?

Recht schnell gibt der Mond die Sonne wieder frei. Da taucht die auffällige Fleckengruppe wieder auf. Meine Aufnahmen im 5-Minuten-Takt dokumentieren das.

Das Licht ist immer noch fremdartig, mir kommt der Wechsel von dunkel zu hell dieses Mal sehr schleppend und nachvollziehbar vor. Da taucht Gabi wieder auf, die die Finsternis in völliger Ruhe und mit sich alleine erlebte. Ihr ist aufgefallen, dass während der Totalität das Stroh zu knacken begann. Zu ihrer Ernüchterung sagen wir ihr, dass es wohl an den vielen Feldmäusen liegt, die hier durch das Stroh huschen...

16:25 Uhr

Der Countdown für den vierten Kontakt läuft. Nur noch ein kleines Eckchen ist aufzufüllen. Das Licht hat sich wieder normalisiert, wenn man das so nennen kann. Schliesslich steht die Sonne schon recht tief und bringt nicht mehr die Helligkeit wie um die Mittagszeit. Noch sehe ich im Sucher, dass ein winziges Stückchen der Sonne fehlt. Weniger, und weniger, und der Mond ist weg um 16:27:01.

Jetzt geht die Sonne für Beobachter in Madagaskar noch partiell verfinstert unter.

Wahnsinn! Eine komplette Finsternis, quasi störungsfrei über den gesamten Verlauf zu beobachten. Das war den allermeisten unserer Truppe im August 1999 nicht möglich. Ich rechne nach und darf meinem Finsternis-Erlebniskonto nun 5 Minuten und 53 Sekunden Totalitäts-Zeit gutschreiben! Immerhin die zweite Totale. Dennoch empfinde ich das Fotografieren als eine starke Ablenkung von der eigentlichen Naturschönheit. Doch die Bilder werden das im Laufe der Jahre entschädigen, hoffe ich.

Mittlerweile ist das Gegengewicht der Montierung an einem Stativbein angelangt, das Teleskop kann dem Sonnenlauf nicht weiter folgen. Besser hätte es nicht kommen können. Und jetzt fällt mir wieder ein, dass die blinkende Batterieanzeige den Anwender erinnern soll, dass der Infrarotempfänger in der Kamera Batteriestrom verbraucht! Also halb so wild, und die getauschte Batterie kann noch als neu bezeichnet werden.

Bernhard schwärmt schon ausgiebig von der Finsternis im Jahre 2006, die ihren Weg quer durch Afrika über die Türkei nach Sibirien zieht. Natürlich ist der Treffpunkt an der Grenze zu Libyen und Syrien reizvoll, aber es dauert noch eine ganze Ecke, bis es soweit ist. Die meisten teilen seine Idee, dann wieder eine gemeinsame Tour zu unternehmen. Alex Pikhard äussert, dass es sinnlos sei, die nächste totale Finsternis im Dezember 2002 anzureisen.

Jetzt brauche ich einen Stuhl nach dem Stress! Erst einmal setzen, etwas trinken und die Reste der Schokolade verspeisen. Die Temperatur liegt bei 17°C, und viel höher kann das Quecksilber eigentlich auch heute nicht mehr steigen. Und der Mond zieht seine Bahn weiter. Ich bin wahnsinnig müde und entkräftet. Ich schaue mich um. Einige bauen ihre Geräte ab, andere beginnen, ihre Erlebnisse zu notieren, wieder andere hören Radio. Ich will einfach nur da sitzen. Und so ist der Nachmittag schnell vorbei. Ein grandioser Sonnenuntergang an diesem perfekten Tag ist der krönende Abschluss des solaren Auftritts. Die orangefarbene Sonne steht bei den Bäumen, die uns als Bildvordergrund während der Eklipse gedient haben. Ein paar Aufnahmen mit Gerhards Portaball im Vordergrund, die untergehende Sonne am Horizont, und dann knurrt mein Magen! Es ist richtig kühl geworden, da kommt es gerade recht, dass das Lagerfeuer schon munter brennt. Sebastian, Sacky und Martin bereiten das Abendessen. Reis mit Hähnchen steht auf der Speisekarte. Was wäre ein Dinner am Lagerfeuer am Abend ohne die gefürchtete Habanero-Sauce? Also immer kräftig zugelangt!

Wir tauschen unsere Erlebnisse aus, und das wärmende Feuer und eine Jacke lassen die Kälte vergessen. Die Wiener möchten heute Abend, wohl zum letzten Mal, unter guten Bedingungen den südlichen Sternenhimmel nach optischen Schätzen absuchen. Doch da klinke ich mich aus, irgendwann ist Schluss, und ich bevorzuge gegen 22.00 Uhr den Weg in Richtung Zelt. Auch Marc folgt nicht sehr viel später. Ich schlafe trotz der Gespräche von den Nachtspechtlern ruck-zuck ein, eingerollt in mehrere Lagen Kleidung, und meinem wundervollen Kopfkissen in Form einer Lederjacke. Oh, happy day...